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Samstag, 8. Juni 2019

Lovecraftesque - Force Majeure - "Lass uns essen gehen!"


Fortsetzung der Erzählung von nurderTim (Übersicht unter Lovecraftesque - Das Blogspiel)

"Lass uns essen gehen!"


Mitschnitt der Therapiesitzung von Hermann Wagner, Patient der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin im Krankenhaus St. Vinzenz, Zams, Österreich, 1. Mai 2019

Behandelnder Arzt: Prim. Univ.-Doz. Dr. Martin Kurz

Also, Hermann...

Bitte, nennen Sie mich Harma.

Na gut. Harma, erzählen Sie mir bitte nochmal, wie sich die Situation mit Raphael Duchamps entwickelt hat. Von Anfang an.

Ich habe auf ihn gewartet. Ich wusste, dass er kommen würde.

Woher wussten Sie das?

Ich wusste es von den Zeichen an den Wänden. Das Flüstern aus den Bergen sprach von ihm. Das Licht der Nacht trug sein Aussehen zu mir. Die Träume zeigten mir sein Gesicht. Alles, einfach alles kündigte ihn an.

Aha. Und als er dann den Berg herunter kam?

Ich hatte ein Feuer gemacht, damit er mich findet. Mit feuchtem Holz und vielen Kräutern, damit Rauch aufsteigt. So hat er mich gefunden.
Er tat so, als wüsste er nicht, was ihn erwartet, doch mir war klar, das war nur ein Teil der Prüfung, die er mir auferlegte, um zu erkennen, ob ich würdig bin, diesen Weg mit ihm zu gehen.

Waren Sie denn würdig?

Ich ... weiß es nicht ... ich hoffe, ich habe ihn nicht enttäuscht. 
[Patient schweigt, blickt zur Seite, murmelt]
Es ist so viel passiert, Dinge, die ich nicht erwartet habe, die nur er wusste.

Wie ging es dann weiter?

Ich habe mich ihm unterworfen, seiner Macht, seinem Strahlen.
Ich musste ihn in die wahre Hexenhöhle geleiten, in die Heilige Höhle, die sich nur einmal im Jahr öffnet.
Doch als ich ihm das sagte, fragte er nur: "Gibt's da dann was zu essen?"

Er wollte essen?

Er hatte Hunger, einen Bärenhunger, sagte er, und dann kicherte er. Er sog den Rauch des Feuers ein, ganz tief, und er hat danach nicht einmal gehustet.
„Das riecht nach Barbecue“, meinte er nur und kicherte noch mehr.

Danach sind Sie den Berg hinaufgegangen.

Ja, ich habe ihn geführt. Ich wusste ja, wo er hin wollte: in die heilige Höhle. Wir gingen an den anderen Tunneleingängen vorbei, die er kannte, die wir alle kannten.
Ich wusste ja, dass des nicht um diese Höhlen ging, dass sie nur ein Abklatsch waren, ein Trugbild, das die wahre Natur der Dinge verschleiert.

Was ist die wahre Natur der Dinge?

Es ist ein Spiel. DAS Spiel. Wir Menschen sind Statisten, Spielfiguren, die hin und her geschoben werden, von Mächten jenseits unserer Vorstellung. Und jeder übernimmt nur seine Rolle darin, ob er nun will oder nicht.

Und was ist Ihre Rolle, Harma?

Ich war der Diener des Auserwählten, der Bewahrer des Rituals, derjenige, der die Dinge dorthin gebracht hat, wo sie benötigt wurden.

Die Dinge?

Die Robe des Hohepriesters, den Opferdolch, die Tinktur ... und den Auserwählten.

Hat der Auserwählte Sie freiwillig begleitet?

Ja, natürlich. Er sagte noch: „Lass uns essen gehen!“
Er wusste, was ihn erwartete. Er war der Auserwählte, der für das Kommen des Herrschers sorgt.

Das Kommen des Herrschers? Welches Herrschers?

[schreit]
Haben Sie mir nicht zugehört? Des Herrschers, der uns alle beherrscht, der uns bewegt, der uns erschafft, der uns zerstört! Mich, Sie, die da draußen! ALLE!

Ruhig, Harma! Es gibt keinen Grund, wütend zu werden.

Wenn Sie mir nicht zuhören ...

Ich höre Ihnen ja zu. Was musste der Auserwählte denn tun, was war seine Rolle?

Er war der Rufer. Das habe ich erkannt. Nicht ich, wie ich zuvor dachte. Ich bildete mir etwas ein, überschätzte den Plan des Herrschers für mich. Ich war dumm und eitel.
Der Bewahrer, das war meine Rolle im großen Plan.
Der Rufer war ein anderer. Es war der Fremde. Der Auserwählte.

Wo sind Sie dann hingegangen, Sie und der Auserwählte?

Hinauf auf die Mittagsspitze, dorthin, wo die Nebel sich sammeln.
Ich nahm die Gerüche wahr, die den Herrscher und seine Macht ankündigen. Sie lagen im Nebel, bedeckten uns mit seiner Segnung.

Waren Sie allein, Sie beide?

In der Nähe des Herrschers ist man nie allein. Wir sahen sie in den Nebeln, wie sie auftauchten und wieder verschwanden. Schatten ... Wahnbilder ... Schemen ... sie kamen hervor und vergingen wieder. Doch wir konnten sie hören, riechen ... schmecken ... ja, sie lagen auf unseren Gaumen wie die köstlichsten Speisen ... doch der Appetit des Rufers war nicht gestillt.
„Wann gibt’s was zu essen? Ich habe Hunger!“
Dann lag die Höhle plötzlich vor uns. Die Nebel verschwanden, und der Berg löste sich auf, gab den Weg frei in das Zentrum der Macht.

Sie meinen, oben auf der Wetterspitze?

Natürlich. An dem Ort, den die Bilder und die Stimmen und die Lichter und die Träume mir offenbart hatten. Nachdem ich sie endlich durchschaut hatte.

Harma, an dem Ort, den Sie uns genannt haben, ist nichts zu sehen außer steinhartem Fels. So weit oben gibt es keine Höhlen.

[kichert]
Sie werden diesen Ort nie finden. So wie alle anderen, die keine Rolle im großen Plan spielen.
Ich war ein Teil des Plans, ich wusste, was zu tun war. Ich umfasste den Griff des Dolches unter meiner Robe, tastete nach der Tinktur. Alles war bereit.
Der Auserwählte ging voraus, unter die schmelzenden Felsen, die wabernden Gänge entlang, hinunter in die Tiefe des Berges ... und ich roch ... ich roch den Beginn vom Ende ... welch köstliches Aroma ...

Anmerkung des behandelnden Arztes:
An dieser Stelle versank der Patient in Schweigen und war nicht wieder zur Mitarbeit zu bewegen. Die Therapie wird zu einem späteren Zeitpunkt fortgesetzt.


Neuer Charakterzug des Protagonisten

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Neuer Nebenschauplatz

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Hinweis

Bewahrer des Rituals

Ort des Finalen Horrors

Die wahre Hexenhöhle

Das Blogspiel geht weiter bei ... 

Von der Seifenkiste herab ...


Das Bild zum Artikel stammt von Pexels, auf der Website Pixabay

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